Ein Lebenslauf
[wo läufst du hin?]
von 
Anna Krumpholz 

Bevor das Leben laufen konnte, wurde es getragen; im Wasser im Bauch; schwebend, schwimmend; warm vermutlich, ­dunkel; daher auch die Liebe für das stundenlange Tümpeln in der ­Wanne, vermutlich. 
Sechs bunte Arme trugen es vom dritten Stock ins Erdgeschoss, in den Park und vom Park ins Museum, trugen es herum und zeigten es her, stolz und glücklich, vermutlich. Sechs Beine ­liefen und das Leben lag, hing, strampelte, wurde getragen. 
Die Welt wird größer, als das Leben laufen lernt. Laufen vom Zimmer ins andere Zimmer, in die Wiese, in den Sand, ins ­Wasser, sechs Hände und sechs Arme immer noch da, sorgend, stützend. 
Und dann läuft das Leben los. 
Es lernt lesen und schreiben und baut Häuser aus Papier und Steinen und dann auch aus Holz und Karton und zieht Fäden und tauscht das Laufen gegen das Radfahren und von Zimmer zu Zimmer wird Wohnung zu Haus, wird Haus zu Wohnung und Zimmer, geteilt mit anderen ­Leben, die noch nicht wissen, wohin sie laufen. Uni und Kunst und ­Gebäude und dazwischen schlafen und die pure Über­forderung, und das Leben genießt das. 
Aus Zimmer und Wohnung wird Land zu Land und ein neues Zimmer in einem neuen Land; ein Winter am Meer; das ist kalt und nass, dunkel; warme Enge wurde zur kalten Weite, ein ­wenig düster, aber viel Freiheit. 
Sechs Beine und sechs Hände sind weit weg. 
Zurückkommen, ankommen, Wohnung, Stadt, das Leben fährt nun viel mit dem Zug, läuft wieder von Zimmer zu Zimmer zum Haus zu den sechs Beinen und Armen und Umarmen und die Frage bleibt weiter, wohin das Leben läuft. Und es geht ihm gut.


/ im Oktober 2024 



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